Laudatio anlässlich der Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich an
GERD BIENERT
am 19. April 2017
von Helmut Wohnout
Lieber Gerd Bienert,
meine sehr geehrten Damen und Herrn!
Der heutige Abend hätte eigentlich ein musikalisches Fest werden sollen. Denn – als unser Geschäftsführer des SKV, Hans Kolar, im Namen Gerd Bienerts, vor etwas mehr als einem Monat dessen enge Musikerfreunde RICHARD ÖSTERREICHER und KARL HODINA angerufen hat, um sie zur heutigen Verleihung einzuladen, erklärten sich beide sofort bereit, den Abend mit und für Gerd Bienert musikalisch zu gestalten. Alles war arrangiert, die Einladungen waren verschickt, als uns dann vor knapp vier Wochen die Nachricht vom völlig unerwarteten Tod KARL HODINAS erreichte. Rasch war für alle Beteiligten klar, dass die heutige Verleihung nunmehr nicht mehr jenes unbeschwerte Fest würde sein können, als das wir es konzipiert hatten: Ohne den geplanten musikalischen Rahmen und vielleicht um eine Spur nachdenklicher. Aber dennoch soll es dem Anlass entsprechend ein positiv gestimmtes Beisammensein werden.
Bevor ich Einiges zu dem heute auszuzeichnenden Gerd Bienert sagen darf, scheint es mir aber nur angemessen zu sein, kurz innenzuhalten und mit einigen wenigen Gedankensplittern an Karl Hodina zu erinnern.
Wir tun dies auch aus Dankbarkeit für die Konzerte, die er in diesem Raum am 23.Okt. 2013, am 29.Okt. 2014 und am 17.Sept. 2015 gespielt hat. Ich erinnere mich noch gut, wie wir am 17.Sept. 2015 nachher noch eine Zeitlang gemütlich beisammen gesessen sind, ehe ich Karl Hodina zum Taxi begleitet habe. Wir haben darüber geredet, dass er wieder zu uns kommen würde. In der ihm eigenen Art hat er beim Abschied, ich habe es genau im Ohr, gesagt: „Aber weißt eh`, ich bin jetzt 80 worden, also lasst`s Euch nicht zu viel Zeit!“. Heute hätte es wieder sein können, aber es hat leider nicht mehr sein sollen.
Wie Karl Hodina, begleitet von Gerd Bienert an diesen Abende das Wienerlied musikalisch interpretiert hat, wurde nunmehr in einer Würdigung des Kulturpublizisten Edwin Baumgartner auf den Punkt gebracht. Ich zitiere: „Karl Hodina hat das Wienerlied nachgerade neu definiert und von der wohlig-weinerlichen Sentimentalität, die ihm mittlerweile fälschlich anhaftete, befreit. […] es ging Hodina […] darum, durch die Grammatik anderer Musikrichtungen die Nervenstränge des Wienerliedes wieder aufzuspüren, die unter einer dicken Schicht von Lamoyanz verborgen waren.“ Ende des Zitats. Lassen Sie mich an diese Gedanken anknüpfen: Könnten solche Überlegungen nicht, über die Musik hinaus, übertragen werden auf eine zeitgemäße Pflege und Weitergabe des Kulturerbes eines alten und doch einem Wandel unterworfenen Weinhauerortes wie Sievering?
Karl Hodina war ein Multitalent. Als Maler, neben Friedensreich HUNDERTWASSER, Rudolf HAUSNER und Arik BRAUER, ein bedeutender Vertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, als Sänger, Akkordeonist und Komponist ein Interpret der Texte H.C. ARTMANNS und ein wunderbarer Jazzmusiker, vor allem auch mit seinem Freund Gerd Bienert.
Und gerade deshalb wäre es, denke ich, nicht im Sinne KARL HODINAS gewesen, den heutigen Abend abzusagen. Im Gegenteil, hatte er sich doch über die Nachricht von der Auszeichnung für Gerd Bienert sehr gefreut. So meine ich, dass es gut und auch in seinem Sinn ist, dass wir heute zusammengekommen sind und vielleicht sieht er uns von woanders zu und stößt von dort mit einem G`spritzten auf unseren zu ehrenden Gerd Bienert an.
Gerd Bienert wurde am 29. Oktober 1939, also kurz nach Beginn des 2. Weltkriegs, in Wien geboren. Seine ersten Lebensjahre verbachte er mit seinen Eltern wohlbehütet im 7. Wiener Gemeindebezirk. Bis das Jahr 1945 vieles ändern sollte. Sein Vater, Herbert, fiel zu Beginn des Jahres in Ungarn. Und im Mai 1945, nur ein Monat nach ihrer Geburt, starb eine Schwester Gerd Bienerts. Anstelle der erhofften bürgerlichen Idylle einer vierköpfigen Familie musste Hermine Bienert von einem Tag auf den anderen als alleinerziehende Mutter ihren sechsjähren Sohn und sich selbst in den ersten, schweren Nachkriegsjahren durchbringen.
Zu den Dingen, die der gefallene Vater zurückgelassen hatte, zählte ein schöner Flügel, der in der Wohnung stand. Und noch im Jahr 1945 begann seine Mutter, Gerd Bienert Klavierstunden geben zu lassen. Am Konservatorium perfektionierte er später seine Kenntnisse. So wurde das Klavier zum ersten Instrument Gerd Bienerts. Er ist auch heute noch davon überzeugt, dass jeder Musiker Klavier spielen können sollte und er selbst hat sein ganzes Musikerleben hindurch zahlreiche seiner Nummern am Klavier komponiert. Und dennoch wurde bald die Gitarre zu seinem Instrument schlechthin. Denn das große musikalische Talent des Buben hatte sich rasch gezeigt. Und so begann er zusätzlich zum Klavier in der Musikschule JENTSCH Gitarre zu lernen. Dort verbrachte Gerd Bienert gerade einmal ein Jahr, ehe sich zeigte, dass es nichts mehr gab, was ihm die Lehrer dort beizubringen vermochten. Er konnte nach zwölf Monaten einfach alles an jenem Instrument, das ihn nunmehr ein Musikerleben lang begleiten sollte. Gerd Bienert besorgte sich daraufhin die drei Bände des bis heute immer wieder aufgelegten Buchklassikers „A Modern Method for Guitar“ von William LEAVITT und begann danach als Autodidakt zu üben und zu spielen. Mit seiner Mutter ging er ins Floh-Kino in die Lerchenfelder Straße. Dort, in der US-amerikanischen Besatzungszone, sog er begierig die ersten Jazzfilme in sich auf. Zurück zu Hause begann er die gehörten Melodien nachzuspielen. Beim ersten Mal gelang dies nur fast, aber nicht zur Gänze. Daraufhin bezirzte er seine Mutter mit ihm nochmals den Film anzusehen. Beim zweiten Mal hat es dann mit dem Nachspielen geklappt.
Sie sehen an Hand dieser Schilderungen, meine sehr geehrten Damen und Herren, Gerd Bienert, verfügt möglicherweise über ein absolutes, ganz sicher aber über ein sehr gutes Gehör.
Mit 18 Jahren hatte er seine erste Jazz-Formation beisammen. Er trat im Café Cottage Ecke Martinstraße/Gymnasiumstrasse auf, also vis a vis vom Magistratischen Bezirksamt des 18. Bezirks. Von FATTY GEORGE angefangen, traf er dort alles, was damals in der Wiener Jazz-Szene Rang und Namen hatte. Seit den frühen 1970er Jahren wurde dann das JAZZLAND zur musikalischen Heimat von Gerd Bienert. Schon bei dessen Eröffnung war er mit seiner PRINTER´S JAZZBAND dabei. Er spielte und spielt bis heute im Jazzland mit vielen Schlüsselfiguren des österreichischen Jazz: FATTY GEORGE, BILL GRAH, OSKAR KLEIN, (dem heute unter uns weilenden) RICHARD ÖSTERREICHER, KARL RATZER oder TINI KAINRATH; um nur ein paar Namen zu nennen. Was aber möglicherweise Gerd Bienert noch mehr bedeutet hat: Sein Ruf begann sich in der internationalen Szene herumzusprechen. Und viele Größen der US-amerikanischen Jazzwelt äußerten den Wunsch, bei ihren Auftritten in Wien mit dem Gitarrenvirtuosen Gerd Bienert zu spielen. Nur einige von ihnen seien namentlich genannt: Der Jazztrompeter DAVID ROY („Little Jazz“) ELDRIDGE, der Tenorsaxophonist BEN WEBSTER, TEDDY WILSON, der Pianist von BENNY GOODMAN, EDDIE „Lockjaw“ DAWIS, der Saxonphonist von COUNT BAYSEY, BUDDY TATE, KAI WINDING, JOE NEWMAN, ART FARMER, HANK JONES, HARRY „Sweets“ EDISON, der Gittarist des Oscar PETERSON-Trios HERB ELLIS, BARNEY KESSEL oder der Bassist SLAM STEWART, der ebenfalls dem BENNY GOODMAN-Sextet angehörte. Es zählen aber auch DANA GILLESPIE oder BILL RAMSEY dazu, mit dem er erst vor einiger Zeit im JAZZLAND aufgetreten ist. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Und: Zahlreiche dieser Auftritte bildeten den Ausgangspunkt einer längeren musikalischen Zusammenarbeit, die in nicht wenigen Fällen ihren nachhalten Niederschlag in eingespielten Plattenaufnahmen fand, u.a. mit ART FARMER, BEN WEBSTER und EDDIE „Lockjaw“ DAWIS. Im Gegenzug ergingen natürlich an Gerd Bienert zahlreiche Einladungen im Ausland aufzutreten, selbstverständlich auch im Mutterland des Jazz, in den USA und in Canada, aber auch in vielen europäischen Städten.
Als Bandleader und Gittarist spielte Gerd Bienert 20 Jahre lang mit den verschiedensten Jazzformationen, darunter mit der bereits erwähnten PRINTER´S JAZZBAND und ebenfalls fast zwei Jahrzehnte mit seiner Formation JUST FRIENDS. Deren Name war Programm. Denn ihr gehörten neben anderen auch seine engen musikalischen Freunde RICHARD ÖSTERREICHER und KARL HODINA an. Mit RICHARD ÖSTERREICHER spielte er im Laufe der Zeit vier gemeinsame Tonträger ein, mit KARL HODINA sogar fünf. Und mit beiden verband und verbindet ihn auch eine enge menschliche Freundschaft, weit über die Musik hinaus bis zu gemeinsam verbrachten Urlauben.
Gerd Bienert trägt so wie viele Jazzmusiker einen zusätzlichen Künstlernamen. In der Jazzszene ist er eigentlich mehr unter dem amerikanischen Vornamen WOODY Bienert geläufig. Ich habe seine Gattin und ihn gefragt, wie er zu seinem Künstlernamen WOODY gekommen ist. Beide wussten es nicht so recht zu beantworten. Ab einem bestimmten Zeitpunkt hieß er einfach in der Szene WOODY.
Apropos Frau und weil wir gerade beim Persönlichen sind: Gerd Bienert ist seit fast 56 Jahren mit seiner Gattin Karin verheiratet. Sie ist, noch mehr als seine Gitarre, seine unzertrennliche Begleiterin und auch Stütze in allen Lebenslagen. Denn anstrengend war es bisweilen schon: Gerd Bienert hatte neben seiner musikalischen Tätigkeit immer seinen zivilen „Brotberuf“ als EDV-Techniker ausgeübt. Das hieß: üben, proben und komponieren immer erst ab dem späten Nachmittag und am Abend. Zumeist dauerte es bis spät in die Nacht, auch wenn es keinen Auftritt gab. Zum Schlafen blieb da oft nur wenig Zeit.
Kehren wir noch einmal kurz zur künstlerischen Vita Gerd Bienerts zurück. Er trat viel im Fernsehen auf, zu einer Zeit – lang ist´s her – als es Jazz noch im Hauptabendprogramm zu sehen gab. Einige von Ihnen werden sich noch an Sendungen wie „FATTY LIVE“ mit FATTY GEORGE oder „JAZZ AM SAMSTAG“ mit dem schier unverwüstlichen GÜNTHER SCHIFTER erinnern. In ihnen trat Gerd Bienert genauso auf wie in zahlreichen Radiosendungen, vor allem in jenen des ebenfalls für viele unvergessenen WALTER RICHARD LANGER. Darüber hinaus stellte sich Gerd Bienert über viele Jahre bei „Licht ins Dunkel“ mit seinen Auftritten in den Dienst der guten Sache. Er war aber auch in Sendungen zu sehen, wo man es prima vista nicht erwarten würde. Oder hätten Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, damit gerechnet, dass er mehrmals in der „Vorrang“-Sendung Walter SCHIOKS sowie in der Samstagabend Sendung von HEINZ CONRADS gespielt hat? Dass er die Kunst des musikalischen Cross-Over wunderbar, bruchlos und mit einer natürlichen Lockerheit beherrscht, hat Gerd Bienert – wie schon eingangs erwähnt – dreimal gemeinsam mit Karl Hodina in diesem Raum im Rahmen des SKV unter Beweis gestellt. Jeder dieser Abend war jeweils ein musikalischer Höhepunkt für unseren Verein!
Es gibt aber noch weitere Bezüge zum SKV. Gerd Bienert wohnt seit vielen Jahren im Kaasgraben. Gehen wir einmal davon aus, dass cum grano salis der Kaasgraben ein zumindest peripherer Teil Sieverings ist, zum Pfarrsprengel der Pfarre Sievering gehörte der Kaasgraben ja über lange Zeit. So geht Gerd Bienert – zumindest augenzwinkernd - auch als waschechter Sieveringer durch. Umso mehr als er jemand ist, der gerne (und ohne Instrument) seine freie Zeit mit seiner Frau beim Heurigen verbringt!
Gerd Bienert kann als eine Leitfigur der österreichischen Jazzmusik nach 1945 bezeichnet werden, auch wenn er als Person sich nie in den Vordergrund gedrängt hat. Dessen ungeachtet wurde ihm so manche Würdigung zuteil, darunter vor einigen Jahren den Goldenen Rathausmann der Stadt Wien. Eine bundesstaatliche Auszeichnung hat er allerdings nie erhalten. So ist bei uns im SKV im Vorjahr nach seinem dritten Konzert die Idee entstanden, beim für die gesamtstaatlichen Kunst- und Kulturagenden ressortzuständigen Bundeskanzleramt Gerd Bienert für eine bundesstaatliche Auszeichnung einzugeben. Und ich freue mich sehr darüber, dass nicht nur dieser unserer ersten Anregung Folge geleistet wurde und seitens der Kunstsektion des BKA dem Herrn Bundespräsidenten ein entsprechender Antrag unterbreitet wurde, sondern dass auch unserer zweiten Anregung entsprochen wurde: nämlich die Überreichung dieser Auszeichnung im Rahmen einer Veranstaltung des SKV durchzuführen.
Lieber Gerd, liebe Karin, herzliche Gratulation und alles erdenklich Gute!